INDUSTRIE 5.0 SCHNAPPT DER MIR DEN ARBEITSPLATZ WEG?!

Eines der automatisierten Absperrventile in einer
petrochemischen Anlage lässt sich aufgrund eines technischen Problems nicht ansteuern – der gesamte
Betriebsablauf muss unterbrochen werden. Jede Minute kostet ab jetzt Zeit, Nerven und vor allem Geld. Normalerweise. Doch in diesem Szenario ist die externe Hilfe eines Spezialisten nicht notwendig, denn ein Mechaniker-Team vor Ort behebt den Schaden umgehend. Und dies sogar in der Hälfte der üblicherweise angesetzten Zeit. Das Team ist 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche einsatzbereit und verfügt über das geballte Wissen von Generationen zur Reparatur sämtlicher auf dem Markt befindlicher Armaturen und Steuerungen. Es reagiert individuell auf verschiedenste Situationen und ist in Sachen Problemlösung und vorausschauendes Handeln bestens geschult. Es braucht keine Pause, keinen Urlaub und keine Krankenversicherung. Es ist allerdings auch nicht menschlich …

Was vor 20 Jahren noch nach Science-Fiction klang, ist heute zumindest teilweise schon Realität. Wenn man die Fortschritte der Robotik besonders in der jüngsten Vergangenheit verfolgt, stellt man sich unweigerlich Fragen wie: „Schnappen uns eines Tages Roboter die Arbeitsplätze weg?“ und „Wird es bald schon eine sogenannte 5. industrielle Revolution geben?“.

 

Der erste Industrieroboter „Unimate“ wurde 1956 entwickelt. Seitdem sind solche Maschinen aus der Industrie nicht mehr wegzudenken. (Beispielbild) Bildquelle: Phonlamai Photo/Shutterstock

Übernehmen Maschinen eines Tages das Arbeiten
und denken für den Menschen? Bildquelle: Phonlamai Photo/Shutterstock

Wenn die Rede von Industrie 4.0 ist, spricht man von Optimierungen, die das Ergebnis der Verzahnung industrieller Abläufe mit heutiger Kommunikations- und Informationstechnik sind. Sämtliche Stationen bei der Entwicklung und Fertigung eines Produktes sowie dem After-Sales-Service oder die Bereitstellung einer Dienstleistung sollen durch digitale Maßnahmen vereinfacht und beschleunigt werden. Das gilt sowohl für interne als auch externe Prozesse. Involviert sind beispielsweise Maschinen, die untereinander oder mit dem Menschen digital kommunizieren. Ein Beispiel sind hier automatisierte Lagersysteme, die eine Mitteilung machen, sobald ein bestimmtes Bauteil nicht mehr in ausreichender Menge vorhanden ist und dieses sogar nachbestellen. Diese sogenannte 4. industrielle Revolution stellt einen weiteren Meilenstein in der Menschheitsgeschichte dar und ist eine logische Konsequenz aus mit der Nutzung von Technologie fast unweigerlich automatisch ablaufender technischer Weiterentwicklung sowie dem kontinuierlich steigenden Bedarf unserer Konsumgesellschaft. Aber der Reihe nach. Die 1. industrielle Revolution begann rückwirkend betrachtet um das Jahr 1800. Grund dafür war die neue Möglichkeit zur Massenproduktion durch zunächst mit Wasser- und später mit Dampfkraft betriebene Maschinen. Neue Arbeitsplätze wurden geschaffen, die steigende Nachfrage der wachsenden Bevölkerung gedeckt. Fast noch wichtiger: Es weckte sogar Bedarfe, die vorher gar nicht vorhanden waren. Denn Produkte wie beispielsweise Textilien wurden durch die Massenproduktion oder durch nie zuvor erreichte Transportgeschwindigkeiten der Züge erschwinglicher. Mit Einführung der Elektrizität zündete eine weitere Entwicklungsstufe, die Anfang des 20. Jahrhunderts um Akkordarbeit und Massenproduktion an Fließbändern erweitert wurde. Mit Geräten wie der Schreibmaschine und Telefonen sowie mit Telegrammen entwickelte sich abseits der Herstellungsprozesse auch die Kommunikation und Datenverarbeitung weiter. In den 1970er Jahren waren es dann die Computer und eine weitreichende Automatisierung durch IT und Elektronik, welche nicht nur bestehende Industrien voranbrachte, sondern gleich völlig neue Geschäftszweige etablierte.

Nach rund 27 Jahren Entwicklung stehen einige Maschinen der US-amerika- nischen Firma Boston Dynamics nun kurz vor der Serienfertigung *2 Bildquelle: ALX1618/Shutterstock

Bisher waren es also immer ganze Systeme, welche Industrien veränderten, die Globalisierung vorantrieben und Gesellschaften prägten. Warum könnte man also diesmal den Robotern allein einen derart gravierenden Einfluss zuschreiben?

DAS MOORESCHE GESETZ

Die Antwort liegt darin, dass Roboter das Potenzial haben, nicht nur indirekt sondern direkt Tätigkeiten des Menschen auf höherer Ebene zu ersetzen sowie autonom zu agieren. Wie anhand des fiktiven Einsatzes in der Petrochemie- Anlage beschrieben, könnten Roboter, wenn sie mobiler und somit flexibler wären, auch Arbeiten verrichten, welche momentan menschlicher Arbeitskräfte bedingen. Was die Mobilität anbelangt, sind unter anderem die Prototypen der US-amerikanischen Firma Boston Dynamics höchst interessant. Einige Modelle wie der hundeartige „Spot“ (Abbildung 2) verfügen dank ausgereifter Servotechnik und fortschrittliche Navigationssysteme über beeindruckende Fähigkeiten. Darunter eine hohe Bewegungsgeschwindigkeit, geschmeidige Abläufe und das Erfassen der Umgebung, um damit zu interagieren und sich zurechtzufinden. Die Maschine kann mittels Greifarm z. B. eine Spülmaschine leer räumen. Das kann jeder Industrieroboter bei entsprechender Programmierung auch – so weit so gut. Spot kann danach aber die Tür öffnen, den Raum verlassen und vielleicht ein Paket von der Post holen, auch wenn der Weg dahin über eine glatte, zugefrorene Straße führt. Oder er kann bei entsprechender Programmierung in einer toxischen oder sonstigen für den Menschen gefährlichen Umgebung eingesetzt werden. Vielleicht sind seine Rechenchips und motorischen Fähigkeiten aber auch irgendwann so ausgereift, dass er die Arbeit eines Kraftwerkmeisters übernehmen kann, sämtliche Vorgänge rund um die Uhr überwacht und Fehler umgehend von einer Flotte aus Spots beheben lässt, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Dabei wäre er effizienter und langfristig gesehen günstiger als ein menschlicher Arbeiter. Zwar gibt es all das in Ansätzen schon, aber in den letzten Jahren hat nicht nur die Hardware, sondern auch die Software enorme Fortschritte gemacht, sodass derartige Szenarien weit weniger kühn anmuten als so manche Zukunftsprognose der Vergangenheit (aus heutiger Sicht).

„Per Rakete werden wir unsere Post innerhalb weniger Stunden von New York nach Australien schicken!“ – Arthur Summerfield, 1959

Besonders humanoide Roboter werden über kurz oder lang menschliche Aufgaben übernehmen, welche bisher nicht durch Maschinen sinnvoll zu ersetzen waren. Nicht nur in der Industrie, sondern in unserem ganz alltäglichen Leben. Wäre es nicht von Vorteil, wenn das Paket anstelle der Karte, welche die eigene Abwesenheit trotz Präsenz attestiert, tatsächlich zugestellt worden wäre? Wäre es nicht wünschenswert, wenn sich auch ein Geringverdiener einen Sonntagsbesuch mit der Familie im Restaurant um die Ecke leisten kann, weil der Koch dort extrem anspruchs- los im Unterhalt und dazu sehr fleißig ist?

Industrie 5.0
Übernehmen Maschinen eines
Tages für den Menschen
das Arbeiten und Denken?

Hollywood hat diese Themen mit Filmen wie „i,Robot“, in dem humanoide Roboter zu alltäglichen Helfern werden, bereits mehrfach aufgegriffen und damit mehr oder weniger realistische Ausblicke geschaffen. Doch wie im Klassiker „Terminator“ oder „Matrix“ sind diese tendenziell eher negativ. Das hängt meist damit zusammen, dass die Maschinen den Menschen in diesen Szenarien die Arbeitsplätze wegnehmen oder ein Bewusstsein entwickeln und dies nutzen, um sich gegen ihre Erschaffer zu wenden. Eine echte künstliche Intelligenz, also ein Rechensystem, welches ein Bewusstsein erlangt, ist aktuell technisch nicht machbar. Und selbst die Fähigkeiten einer Maschine, ihre Umgebung „bewusst“ wahrzunehmen und auf Ebenen zu verstehen, wie beispielsweise Menschen das tun, scheint noch in weiter Ferne zu liegen. Um Aufgaben wie beispielsweise die Leitung und Kontrolle eines Kraftwerks übernehmen zu können, erfordert es weit mehr als „nur“ Fachwissen. Komplexes logisches Denken ist erforderlich und kann nicht einfach so programmiert werden. Dem Mooreschen Gesetz nach verdoppelt sich allerdings die Komplexität integrierter Schaltkreise mit minimalen Komponentenkosten regelmäßig etwa alle 2 Jahre (aus Wikipedia). Da die Mechanik und die Elektronik mittlerweile ausgereift sind und auch entsprechende portable Energiequellen zur Verfügung stehen, ist es aufgrund des Mooreschen Gesetzes logisch anzunehmen, dass wir eines Tages in einer Welt leben, in der Roboter nahezu sämtliche Arbeiten verrichten. Bis dahin wird die 5. industrielle Revolution ein eher gemächlicher Prozess werden. Dass wir uns Sorge um unsere Arbeitsplätze machen müssen, kann eher verneint werden. Denn bei all der Spekulation gibt es zumindest eine Konstante, die relativ verlässlich ist: Noch nie hat technischer Fortschritt im großen Maßstab gesehen mehr Nachteile als Vorteile generiert. Jede industrielle Revolution hat als Ganzes gesehen Fortschritt auf nahezu allen Ebenen ermöglicht. Es wird eher eine Umverteilung geben. Wenn z. B. ein Automobilhersteller seine Produktion komplett auf Roboter umstellt, also mit Industrierobotern in der Fertigung und darübergestellten, humanoiden Robotern für komplexere Aufgaben wie der Montage der Elektronik und zur Überwachung der Abläufe, wird dies automatisch neue Arbeitsfelder für den Menschen schaffen. Es muss demnach einen menschlichen Supervisor geben, der die Kontrolle und das letzte Wort in der Produktion hat. Es wird desweiteren Unternehmen geben, welche die Roboter herstellen und solche, welche passende Software entwickeln und optimieren. Zulieferer profitieren ebenfalls vom gesteigerten Fertigungsvolumen und das Endprodukt wird für den Markt erschwinglicher. Letzten Endes bestimmt der Mensch, wie weit diese Entwicklung geht. Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten und entsteht organisch. Es geht einfach darum, wie wir die Veränderungen annehmen und was wir daraus machen. Ich stelle mir beim Tippen der letzten Zeilen vor, was ich machen würde, würde eine Maschine diesen Artikel verfassen… Dabei fällt mir ein, dass ich noch ein Paket von der Post abholen muss.
Autor: Christopher Alexi (RSB Design)
Bildquelle: Shutterstock